29. April 2020

 

Reginas STAY (NOT ONLY) AT HOME Blog 

Die Ruhe der Anderen

Natürlich möchte ich sie ihnen nicht nehmen oder gar stören, aber da ich keinen Balkon, Garten und keine Terrasse habe, nicht Rad fahre und aus aktuellem Anlass öffentliche Verkehrsmittel meide, ist mein Bewegungsradius ziemlich eingeschränkt.

Zum Glück gibt es in Berlin viele historische Friedhöfe wie die beiden Friedhöfe in der Friedrichshainer Friedenstraße, mit parkähnlichem, oft bemerkenswertem Baumbestand und vielfältiger Grabarchitektur, so dass es sich lohnt, darin spazieren zu gehen. Auch wenn mir Friedhöfe in Zeiten von Corona etwas besser besucht als sonst scheinen, verströmen sie immer noch mehr Ruhe als öffentliche Parks. Zudem wird man in ihnen kaum von Joggern oder Radfahrern geschnitten…

Im Idealfall findet man eine lauschige Bank, auf der man eine Zeitlang in der Sonne sitzen, die Seele baumeln lassen, über den Unterschied zwischen Epitaph und Epigramm nachsinnen oder interessante, kuriose, liebevolle Grabinschriften lesen oder zu entziffern versuchen kann.

Um nicht Verwandten von Verstorbenen zu nahe zu treten, zitiere ich die Grabinschrift eines Bekannten: Gottfried Moritzen war  Bibliothekar und ein Buch- und Kunstliebhaber par excellence. Seine Privatbibliothek hat die des Philosophen in Größe und Vielfalt noch übertroffen. Ich erinnere mich, dass er, als er noch an der Bochumer Universitätsbibliothek gearbeitet hatte, jeden Tag zwei volle Einkaufstüten mit Büchern nach Hause genommen hat und darin ein bekannter Anblick für viele Studenten und Professoren dieser Uni war, vielen sogar als etwas verschroben galt.

Seine Nichte, die ihn zuletzt begleitet hatte, hat mir seinen Nachruf geschickt und ich konnte sofort erkennen, dass er ihn noch selbst verfasst hatte:

„Moritzen ist tot.“

Mit einem lachenden und einem weinenden Augen ehre ich sein Andenken, indem ich, meist im Zusammenhang mit bestimmten Büchern, an ihn denke und hier nun sein „literarisches Vermächtnis“ zitiere, das seinen Grabstein ziert.

Nach längerer Zeit bin ich also wieder bei der schönen Literatur, der Belletristik, gelandet und mir fällt wegen dieses prägnanten Nachrufs eine andere Anekdote ein.

Einer meiner Deutschlehrer auf dem Gymnasium hat mal gesagt, dass der Schriftsteller Arno Schmidt bereits für den Titel seiner Erzählung „Kühe in Halbtrauer“ den Literatur-Nobelpreis hätte bekommen müssen…

Genug getrauert, immerhin nicht im Zusammenhang mit Covid 19!

Beim Anschauen der kunstvollen Gräber und Bauten könnte man meinen, sich gar nicht auf einer Ruhestätte zu befinden, sondern an bedeutenden Kulturstätten oder Sehnsuchtsorten wie den Pyramiden im Alten Ägypten, dem Forum Romanum in Rom oder in einem elisabethanischen Garten in England.

Diese Vorstellung tut gut, denn dorthin reisen zu können, wird dauern…