Liebe auf Deutsch

Aneta Jarniewicz



Der Winter ist vorbei, der Frühling steht vor der Tür, das Licht wird immer intensiver und die Natur wacht nach dem kleinen Intermezzo wieder auf, und manche von uns haben Schmetterlinge im Bauch.

Wie ist das mit der Liebe in den deutschen Lehrbüchern?

Leider bietet sich uns ein trauriges Bild. Deutschland scheint ein Land der Tristesse, Langeweile und omnipräsenter Bürokratie zu sein, das die neuen Bürger schon von der ersten Seite an darauf konditionieren möchte.

Das Wort Liebe taucht nur in der Begrüßungsfloskel auf. Wir schrieben an den Lieben Helmut, ohne etwas für ihn zu empfinden. Fremdsprachler fühlen beim Schreiben des Adjektivs „lieber/e“ in Mails und Briefen verdutzt und unsicher. Soll ich jetzt  die arrogante Hexe, die meinen Sohn unterrichtet „Liebe Frau Kudelski“ titulieren? Wohin wird das führen?

Versucht die deutsche Sprache auf diese Weise, die mangelnde soziale Empathie zu verdecken?

In den sechs Bänden meines Lehrbuchs liebt man nicht! So wie man keinen Alkohol trinkt. Junge Leute führen öde Gespräche, treffen sich zu Hause und trinken Apfelsaft. Als Objekt der Begierde wird hingegen ein Bierdeckel beschrieben, der dann sogar nach Kanada  verschickt wird, per Einschreibebrief mit Benachrichtigungsschein.

Im zweiten von sechs Büchern lernen wir Vokabeln, wie Verpflichtungserklärung, Einkommensnachweis und die obligatorische Reisekrankenversicherung. What?

Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, wusste ich nicht, dass meine Existenz so gefährlich war. Wie konnte ich es so lange so unversichert durchhalten.

Wenn unsere Lehrbuchprotagonisten bei ihren Freunden ein paar Gläser kaputt machen,  wird sofort die Versicherung kontaktiert. Anscheinend kann in Deutschland auch die längste Freundschaft am  Glas zerbrechen! Also bleibe achtsam und habe Angst!

Zum Geburtstag schenkt man dem rüstigen Opa Hausschuhe und Hula-Hoop. Dabei sind die deutschen Rentner ein unternehmungslustiges Völkchen.  Wir hören uns die Wettervorhersagen und Verkehrsnachrichten an. So vergessen wir unsere Funktionsjacken nicht und sind in öffentlichen Verkehrsmitten auf jeden Stau vorbereitet.

Eigentlich treffen wir in den Büchern überhaupt keine Deutsche, und wenn dann in Obrigkeitspositionen. Sonst beschäftigen wir uns ständig mit zufriedenen Migranten, deren Namen man nicht aussprechen kann.  In perfektem Deutsch vermitteln sie uns eine vollkommen idealisierte Wirklichkeit.

Es gibt in den Texten keinen Liebeskummer, die Konflikte drehen sich um nicht geputzte Treppenhäuser und defekte Geräte. Wir lernen kaum, über eigene Befindlichkeiten zu sprechen. Dafür kennen alle das Wort „Hausordnung“. Wir lesen Jobanzeigen für Küchenhilfen, Putzpersonal, Kassierer, Pflegekräfte: fliege niedrig und habe keine Träume! Wir erfahren nichts über die Liebe, Kultur…. wir das Fußvolk! Warum müssen die Texte so atemberaubend witzlos sein? Wie kann man die Lernenden mit solchen plump didaktischen Inhalten zum Lernen motivieren?

Man vergisst aber nicht, dass wir in erster Linie Konsumenten bleiben sollen, nicht nur als Nutzer von sechs Lehrbüchern, die den Kurs begleiten. Wir schreiben Reklamationen, studieren im Unterricht die Informationstafeln in Kaufhäusern und Behörden, wahrscheinlich, um beim nächsten Besuch im KaDeWe den Kosmetikstand schnell zu finden.

Und uns fehlt aber die Liebe auf Deutsch, die Schönheit, die menschliche Wärme, ohne Versicherung und ohne Rücksicht auf Nützlichkeit!  Ist Französisch eine Option?